„Diese Nacht sollte lang noch in unseren Knochen vibrieren.
Ein Ereignis, das jedem, der dabei war, für immer im Gedächtnis bleiben würde – ein Urerlebnis und doch nur eine gestohlene Weltsekunde wie das ganze windige Jahr, zu dem sie gehörte. Erst als wir im nachhinein versuchten, dieser Zeit eine Form zu geben, wurde klarer, daß diese Nacht den Wendepunkt markierte, an dem eine Vorhut kommender Kulturen mit alten Normen brach und sich davonmachte – in Lebensstile und Verhaltensweisen, die sie selbst und andere künftig prägen sollten. Noch Jahrzehnte später würden flüchtig bekannte Mitfünfziger, mit fragwürdigem Zopf oder hoffnungslos verfaltet, in einem beiläufig auftauchenden Erinnerungsmoment auf diese Nacht zu sprechen kommen und fast erschrocken feststellen, ja klar, unfaßbar, das war der Anfang, bin damals dort hingefahren, klar, von Düsseldorf der eine, von Bremen der andere; oder jemand träfe eine Frau, eine zufällige Tischpartnerin, die jene Nacht offenbar auch miterlebt hatte und nach irgendeiner musikalischen Bemerkung plötzlich losschwärmte, ja unglaublich, all die Leute am Baldeneysee, in Zelten mit Stroh auf dem Boden geschlafen, ja, das wär's gewesen, das deutsche Woodstock, ein seliges Wochenende lang.
Tausende waren zu diesem Festival gekommen, in klapprigen geblümten Autos, in indischen Flatterstoffen, in alten, vom Trödler geholten Felljacken und Pelzmänteln, die jungen Frauen mit Talmi geschmückt, die Männer mit ein, zwei Jahre lang ungeschnittenen Haaren, alle zusammen eher Akteure als Publikum. Wie auf Befehl höherer Wesen waren sie aufgebrochen, hatten, erstaunt und bestärkt, daß es so viele von ihnen gab, die Vorschriften mißachtet und zum ersten mal auf deutschem Hallenboden spontan eine Nacht einfach durchgemacht – eine gleichgesinnte, euphorisch gestimmte Menge, die von ihrem unaufhaltsamen Zug zur Selbstauflösung noch nichts ahnte. Sie glaubte an eine ewig währende Epoche, sie traute den Zeichen dieser Nacht – brothers and sisters, rief eine Stimme aus Verstärkern, freak out! Wurde in etwa befolgt, früher oder später. Eine neue Zeitrechnung begann, das Eintauchen in eine andere Atmosphäre, in ein leichtes Land voller Musik und Licht, das aus all seinen Gesichtern lächelte."
Freitag, 7. März 2008
„Das größte europäische Ereignis der Popkultur“
Wundervolle Zeilen über die Essener Songtage im September 1968, die der Autor Detlev Mahnert als das „größte europäische Ereignis der Popkultur" bezeichnet:
Bernd Cailloux, Das Geschäftsjahr 1968/69, Frankfurt/M. 2005, S. 66
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