Donnerstag, 12. Februar 2009

„...diese große, herrliche, einzige That.“

„Herrmann: Nein, sag’ ich Ihnen. Liebe, Vergnügen, Spiel – alles, alles ist mir zuwider, verächtlich, klein: ganz ein andrer Trieb lebt in mir: wie eine Flamme brennt er in meiner Brust: wenn Sie diesen Durst löschen können, dann sind Sie mein Freund.

Wilibald: Ich bin freilich ein schwaches Werkzeug in den Händen der Vorsicht; indessen wenn ich wüßte, was so eigentlich Ihr Wunsch und Begehren sey –

Herrmann: Nur eine That, eine Handlung, die meine Geburt auslöscht! O der Sohn eines Einnehmers [...] brennt mich Tag und Nacht wie eine Kohle in meinem Herze! Ich kann nicht ruhen, bis ich den Vorwurf rein ausgetilgt habe.

Wilibald: Wenn Sie das wünschen, so will ich Ihnen eine Handlung vorschlagen, die Ihnen bey Gott und Menschen Ehre bringen, eine That, die Ihren Namen durch alle vier Welttheile verbreiten, die Sie nach Jahrtausenden noch so berühmt machen wird wie alle Märtyrer und Heidenbekehrer: das Kind, das an der Mutter Brust liegt, wird Ihren Namen zuerst aussprechen lernen: der sterbende Greis wird ihn noch mit Dank und Ehrfurcht nennen: auf allen Kanzeln in Europa, Asia, Afrika und Amerkia wird Ihr Lob ertönen: Dichter und Redner in allen Sprachen der Christenheit werden Sie erheben: Ihr Bildniß wird in Sandstein und Marmor, in Kupfer, Erz, Gips, Wachs, Siegellack und Thon, in schwarzer Kunst, gestochen, geätzt, gemalt, als Büste, Kniestück und in Lebensgröße in allen Zimmern, Stuben und Kammern, unter venetianischen Spiegeln und an himmelblauen Brotschränken durch die ganze Welt zu finden seyn, man wird es an Uhren, auf Stockknöpfen und Dosen, in Ringen tragen, und nach Jahrtausenden werden sich noch Kenner und Antiquare über Ihre Nase zanken: Ihr Ruhm wird mit Himmel und Erde eine Dauer haben.

Herrmann: Und welches ist diese große, herrliche, einzige That?

Wilibald: Wir wollen die Berliner bekehren.

Herrmann stutzte und schwieg. Der Magister ließ seiner Verwunderung ein wenig Zeit und fuhr alsbald in seiner Rede pathetisch also fort:

‚Fromme Männer haben Boten ausgesandt, um beschnittne Juden und ungetaufte Heiden zu bekehren: fromme Männer haben sich zu einem so großen Endzwecke als Apostel gebrauchen lassen, haben mit Regen und Hitze, Sturm, Hagel, Donner und Blitz, mit rüttelnden Postwagen und ungeheuren Meereswellen gekämpft: bald sind ihnen die Schuhe, bald das Schiff, das sie trug, leck geworden: sie haben gefastet, gehungert und gedurstet, haben sich von den blinden Heiden Nasen und Ohren abschneiden, mit den Ohrläppchen an die Türen annageln, geißeln, sengen, stechen, braten, kochen und fressen lassen, um die Ungläubigen durch ihr Leben und Tod zu bekehren: aber niemand ist noch Apostel der Berliner geworden; und doch sind sie ungläubiger als Hottentotten und Malabaren, ohne Erkenntniß und Erleuchtung, Unwiedergeborne, Atheisten, Deisten, Sozinianer, ohne Glauben, eitel Sünder und Sündengenossen: sollte nicht uns die hohe Ehre aufgehoben seyn, diesen verirrten Haufen wieder auf den rechten Weg zurückzuführen? – Wir wollen es wagen: Bruder, laß uns muthig ihre Apostel werden und das Werk ihrer Bekehrung vollenden. Dann wird unser Ruhm von einem Ende der Welt bis zum andern erschallen.‘

Herrmann fand anfangs eine kleine Bedenklichkeit bei dem Vorschlage, oder vielmehr dieser Weg, Ruhm zu suchen, war seiner Ehrbegierde zu fremd, um ihn sogleich zu betreten: er wußte wohl, daß Männer durch edle, großmütige, gemeinnützige, muthige Handlungen, durch Patriotismus, durch wichtige Werke des Genies groß und berühmt geworden waren: aber daß man es durch Bekehrung andrer Menschen werden könne, davon sagte ihm alle seine Kenntniß und Erfahrung kein Wort. Er hörte also den Vorschlag innerlich und äußerlich ohne Beifall und Widerspruch an und versprach, ihn geheimzuhalten, welches sich der Magister sehr angelegentlich von ihm ausbat.“
(Johann Karl Wezel, Herrmann und Ulrike [1780], Heidelberg 1997, S. 296f. )