Freitag, 6. Februar 2009

„So kam ich nach Berlin..."

„So kam ich Ausgang Januars nach Berlin, und blieb da nur fünf Wochen. Ich hatte mich in meinen mitgebrachten Begrifen von dieser großen Stadt sehr geirrt. Das äußerliche viel schöner, das innerliche viel schwärzer, als ich mirs gedacht hatte. Berlin ist gewis[s] eine der schönsten Städte in Europa. Aber die Einwohner? – Gastfreiheit und geschmackvoller Genuß des Lebens – ausgeartet in Ueppigkeit, Praßerei, ich möchte fast sagen Gefräßigkeit. Freie aufgeklärte Denkungsart – in freche Ausgelaßenheit, und zügelosse Freigeisterei. Und dann die vernünftigen und klugen Geistlichen, die aus der Fülle ihrer Tugend und Moralischen Vollkommenheit, Religion von Unverstand säubern, und dem gemeinen Menschen-Verstande ganz begreiflich machen wollen! – Ich erwartete Männer von ganz außerordentlicher Art, reiner, edler, von Gott mit seinem hellen Lichte beleuchtet, einfältig und demüthig – wie Kinder. Und siehe da, ich fand Menschen wie andre; und was das ärgste war, ich fand den Stolz und den Dünkel der Weisen und Schriftgelehrten. Ists nicht also, daß die Weisen mit sehenden Augen nicht sehen, und mit offenen Ohren nicht hören? Spalding hat mir noch am besten gefallen. Nicolai; ein angenehmer Gesellschafter, ein Mann von Kopf, freilich von sich etwas eingenommen. Engel, ein launisches, aber sehr gelehrtes Geschöpf munter u[nd] denn wieder ganz still, wie alle Hypochondriker. Ramler, die Ziererei, die Eigenliebe, die Eitelkeit, in eigner Person. […] Die französische Akademie? Laßen Sie mich den Staub von meinen Füßen schütteln und weiter gehen.“

„An das schöne Geschlecht mag ich dort garnicht denken. War es je irgendwo allgemein verderbt, so ists in Berlin, wo Eigenliebe d.i. Coquetterie zuhause ist wie in Paris, wo der Ton der guten Gesellschaften auf eben solche fade abgeschmackte Wizelei und Complimenten, und auf das Unaufhörliche ersinnen der sogenannten jolis riens gestimmt ist, wo garnichts gedacht, und außer der gröbsten Wollust, garnichts gefühlt wird.“
(Georg Forster an F. H. Jacobi, 23. u. 26. April 1779)